Allgemeines

Grundsätzlich verstehen wir die Zielsetzung, dass durch den neuen Leistungsbewertungserlass Rechtssicherheit für Lehrkräfte, Schüler/-innen und Erziehungsberechtigte geschaffen werden soll. Gleichzeitig möchte man den Schüler/-innen die Möglichkeit eröffnen, durch unterschiedliche Leistungsnachweise verschiedene Kompetenzen unter Beweis zu stellen.

Dieser Erlass ist jedoch für die beruflichen Schulen nicht praktikabel, er stellt inakzeptable Bürokratiehürden auf und belastet durch erhebliche Mehrarbeit die Gesundheit der Lehrkräfte.

Zum Vorwort

Das Vorwort ist theoretisch sehr schön formuliert. Wir sind dennoch über den einen oder anderen Satz gestolpert, z. B. ist es uns neu, dass die Lehrkräfte mit Hilfe der Leistungsbewertung ihre Unterrichtsqualität bewerten können. Heißt das, ausschließlich sehr gute Noten für Schüler/-innen sind gleichzusetzen mit sehr guter Unterrichtsqualität? Wenn dem so wäre, würden alle Lehrkräfte sehr schnell in höchster Qualität unterrichten.

Die Einbeziehung der Fachkonferenzen ist sinnvoll und stellt eine Stärkung dieser vor Ort dar.

4.1 Große und Kleine Leistungsnachweise

Die Idee, verschiedene Arten von Leistungsnachweisen erbringen zu müssen, ist nachvollziehbar, aber nicht neu. Der bisherige Erlass hat hier auch schon einige Möglichkeiten aufgeführt. Die Anzahl der LN ist jedoch weit übertrieben. In jedem Schuljahr sollen pro Fach bis zu 10, in der Fachschule für Sozialpädagogik bis zu 13 LN geführt werden. Jeder der LN soll sich auf „eine überschaubare, in sich zusammenhängende Unterrichtseinheit“ beziehen bzw. über einen „längeren Unterrichtszeitraum“ gewertet werden. Wenn das ernst genommen werden soll, wird in den Klassen von einem LN zum nächsten gehetzt werden. Zum Beispiel wird in der Fachoberschule, Klasse 12 jede/-r einzelne Fachoberschüler/-in pro Schuljahr 32 GLN und 52 (!) KLN erbringen müssen, das ergibt insgesamt 84 Leistungsnachweise in 40 Schulwochen. In der Berufsschule, Ausbildungsberuf Kaufmann/-frau im Einzelhandel (Grundstufe) wird jede Schülerin/jeder Schüler je nach Beschulungsplan der Schule 24 GLN und 36 KLN erbringen müssen. Diese Schüler/-innen sind an nur zwei Tagen in der Woche in der Schule. In 40 Schulwochen, das entspricht etwa 80 Schultagen, sollen also 60 LN erbracht werden. Wann sollen Schüler/-innen und Lehrkräfte zwischen vollständigen Handlungen und Lernsituationen in den Lernfeldern noch die Zeit finden, GLN und KLN zu erbringen und dabei noch ausreichend Zeit zur nächsten Situation lassen? Falls der Berufsschulunterricht in Blockform erteilt wird, z. B. die Bankkaufleute, wird es noch schwieriger, selbst die reduzierte Zahl an LN zu erbringen. Es wird unmöglich sein, diese gleichmäßig über das Schuljahr zu verteilen, wie in Zeile 972 ff gefordert. De facto kommen nur 32 Schulwochen für LN in Frage. Jeder dieser Leistungsnachweise muss dokumentiert werden, d. h., dass beispielsweise in einerFachoberschulklasse mit 25 Schüler/-innen in einem Schuljahr insgesamt 2 100 LN (!) von ca. 10 verschiedenen Lehrkräften geplant, durchgeführt, dokumentiert, begründet werden müssen. Das ist schlicht nicht leistbar. Die Zahl der LN insgesamt muss drastisch reduziert werden, um die Gesundheit und Ressourcen der Lehrkräfte zu schonen, aber natürlich auch um zu vermeiden, dass die Schülerinnen und Schüler das ganze Schuljahr im ständigen Überprüfungsdruck stehen. Diese Aussagen gelten für alle Schulformen im beruflichen Bereich.

Sowohl der KLN als auch der GLN beziehen sich auf eine überschaubare Unterrichtseinheit. Der KLN soll sich im Anforderungsniveau von den GLN unterscheiden. Dass der Umfang geringer sein soll, ist verständlich, aber das Niveau darf nicht abgesenkt werden, wenn wir weiterhin Abschlüsse anbieten wollen, die auch etwas wert sind.

Bei der Auflistung der KLN fehlt das Handlungsprodukt, das insbesondere in den Berufsschulen im Lernfeldunterricht eine weitere Option bietet.

Das Fach Sport ist im Erlass nicht berücksichtigt. Gelten hier die Bestimmungen wie für ein ein- bzw. zweistündiges Fach? Muss hier auch jede Note in gleicher Weise schriftlich dokumentiert werden?

4.3 Übersicht über die LN

Die beruflichen Vollzeitschulformen sind meist zweijährig angelegt, die Fachoberschule in der Unterstufe sogar nur mit halber Stundenzahl. Die Auszubildenden besuchen die Berufsschule zwischen zwei und dreieinhalb Jahren in Teilzeit. Wie sollen die Schülerinnen und Schüler in dieser kurzen Zeit experimentelles Arbeiten oder empirisches Arbeiten so erlernen, dass man diese Kompetenz abverlangen kann? Wie sollen diese Leistungen „grundsätzlich in der Unterrichtszeit“ (Zeile 797f) zu erbringen sein? Letzte Frage stellt sich auch für Fallstudien oder Referate. Dieser Spiegelstrich ist für alle beruflichen Schulformen zu streichen. Wenn eine mündliche Prüfung in der Fremdsprache im Durchschnitt 15 Minuten dauert, in einer Klasse 25 Schüler/-innen sind, sind alleine für die Überprüfungen mehr als 8 Unterrichtsstunden anzusetzen, in denen die Lehrkraft ausschließlich mit Prüfen beschäftigt ist. Da die Fremdsprache in Berufsfachschule und Fachoberschule immer schriftliches Prüfungsfach ist, ist die Zeit u. E. dafür nicht vorhanden. In der Berufsschule wird die Fremdsprache oft nur einstündig unterrichtet, dann würden in 8 von 40 Unterrichtswochen mündliche Prüfungen für die Schüler/-innen stattfinden.

4.4.2 Bewertung, Leistungsrückmeldung, Dokumentation

Auch hier wird den Lehrkräften unverhältnismäßig viel Mehrarbeit abverlangt. Unter jeden schriftlichen LN einen zusammenfassenden Kommentar zu schreiben, in der hier geforderten Ausführlichkeit scheint sehr übertrieben.

Die Schüler/-innen an den beruflichen Schulen sind zu einem sehr großen Teil über 18 Jahre alt. Es ist Lehrkräften an beruflichen Schulen kaum zuzumuten, dass sie in jeder Klasse ständig überprüfen, wer von den Schüler/-innen noch nicht 18 ist und dann nur von diesen verlangen, dass die Erziehungsberechtigten Leistungsnachweise unterschreiben und das noch kontrollieren. Zeilen 1016 und 1017 sind ersatzlos zu streichen.

Erziehungsberechtigten als auch den Praktikums- bzw. Ausbildungsbetrieben ist zuzumuten, dass sie sich in eigenem Interesse bei ihren Kindern bzw. Praktikanten bzw. Auszubildenden über den Notenstand informieren.

Notenspiegel sind wichtig und sollen deshalb unbedingt bekanntgegeben werden. Der entsprechende Satz in Zeile 1023f ist ebenfalls ersatzlos zu streichen.

In den weiterführenden Schulen ist das 15-Punkte System mittlerweile etabliert. Es sollte an den beruflichen Schulen auch eingeführt werden.

4.4.3 Vorlage bei der Schulleitung

Die meisten Schüler/-innen an den beruflichen Schulen sind über 18 Jahre alt. Es ist übertrieben, bei jeder Entscheidung über eine Wiederholung einer Klassenarbeit, Erziehungsberechtigte und Klassensprecher zu informieren. Der bürokratische Aufwand ist unverhältnismäßig.

4.4.4 Ermittlung der Zeugnisnote

Einerseits soll die Zeugnisnote nicht schematisch errechnet werden, andererseits werden hier Vorgaben über die erwartete Gewichtung gemacht. Es erschließt sich uns nicht, warum mit unterschiedlichen Fächern und/oder Lernfeldern unterschiedlich umgegangen werden soll. Es wäre einfacher, für alle Fächer und Lernfelder die Gewichtung bei 2/3 zu 1/3 festzulegen. Durch die Vielzahl an beruflichen Schulen trägt eine Unterscheidung nur zur Verwirrung bei statt zur Klarstellung.

Fazit

Wie bereits oben erwähnt, ist dieser Erlass nicht praktikabel, er stellt eine erhebliche Mehrbelastung für die Lehrkräfte dar und scheint im Bereich der beruflichen Schulen nicht umsetzbar. Wir fordern, den Erlass für den Bereich der beruflichen Schulen von den allgemeinbildenden Schulen abzukoppeln und den bisher geltenden Erlass vorerst in Kraft zu lassen. Dieser kann im kommenden Schuljahr überarbeitet werden und damit anforderungsgerecht sowie umsetzbar gestaltet werden.

Dieser Erlass stellt sowohl für die Lehrkräfte als auch für Schülerinnen und Schüler eine sehr große Mehrbelastung dar. Die Schule degradiert zur Prüfanstalt und Schüler/-innen werden mehr denn je kurzfristig lernen, vergessen, das nächste Thema lernen. Das ist alles andere als nachhaltig.

Bei Errichtung des Erlasses wird es dringend notwendig sein, die Stundenbelastung der Lehrkräfte an beruflichen Schulen von 25,5 Stunden um eine Stunde auf 24,5 Stunden zu senken. Wenn Lehrergesundheit und „Gesunde Schule“ vom Ministerium für Bildung und Kultur ernst gemeint sind, ist das eine unausweichliche Konsequenz.

Eine Besonderheit der beruflichen Schulen ist nach wie vor, dass ein/-e Berufsschüler/-in laut Pflicht-stundenverordnung nur 40 % eines Vollzeitschülers zählt. Er oder sie verursacht i. d. R. mindestens so viel Verwaltungsaufwand wie jeder andere Schüler auch, es müssen – auch nach der neuen AO-BS – immer noch zwei Zeugnisse pro Schuljahr ausgestellt werden, die Schulen organisieren zwei schriftliche Prüfungen und eine mündliche Prüfung pro Berufsschüler in seiner Schulzeit und vieles mehr. Wir fordern zum wiederholten Male, dass ein Berufsschüler auch 100 % wert sein muss und darüber hinaus die Faktoren der §§ 4 bis 6 PVO für die beruflichen Schulen den allgemeinbildenden Schulen angepasst werden müssen.

Falls dieser Erlass in dieser Form in Kraft treten sollte, ist die Zeit für die Lehrkräfte viel zu kurz, sich in notwendiger Weise damit auseinanderzusetzen und ihn im kommenden Schuljahr umzusetzen. Damit ist es unmöglich, tatsächlich Rechtssicherheit bezüglich der Leistungsbewertung zu erreichen.

Sabine Peters-Klein
19. Juni 2016